Wangen im Allgäu

Wangen im Allgäu ist wirklich eine Reise wert! Strassen mit Kopfsteinpflaster, enge Gassen, wunderschön erhaltene alte Gebäude, überall die schönen, verschnörkelten Wirtshaus- und Ladenschilder, das bodenständige, schwäbische Essen, das feine Gebäck und die ausgesprochen freundlichen Einwohner.

 

Ich war aber nicht in Wangen, um Ferien zu machen, sondern um an einem Workshop bei Hermann Wendlinger teilzunehmen. Er ist Handwebmeister und spezialisiert auf die Jacquardweberei, und ich wollte unbedingt mehr über diese Art des Webens lernen.

 

Ein Jacquardwebstuhl hat keine Schäfte, sondern jeder Faden kann mit Hilfe einer von Lochkarten gesteuerten Jacquardmaschine einzeln angehoben werden. Damit konnte ein Weber sehr komplizierte und grosse Muster weben und diese Erfindung veränderte den Lauf der Textil- und Industriegeschichte vollständig. Das Lochkartensystem wird als Vorläufer des modernen Computers betrachtet, weil es binär ist: Loch = Faden wird angehoben, kein Loch = Faden verbleibt in Ruheposition.

 

Joseph Marie Jacquard wurde in1752 in Lyon geboren und machte zunächst eine Buchbinderlehre bevor er Weber, Erfinder und Kaufmann wurde. Bevor Jacquards Erfindung wurden alle die komplizierten Muster, auch die im Museum in Elverum, auf grossen Webstühlen mit zwei Webern gewebt. Der eine von ihnen webte, der andre zog die Musterschnüre. Ich habe grosse Schwierigkeiten, mir diese Art von Weberei vorzustellen. In diesem Artikel wird ausführlich über die englische und französische Seidenweberei berichtet und es hat auch Fotos von den wunderschönen Stoffen.

 

Jacquards Erfindung war nicht der einzige Versuch, die Fadenwahl zu automatisieren. Schon Jahrzehnte vorher gab es verschiedene Erfindungen, aber entweder waren sie unpraktisch oder sie wurden nur in einer Region verwendet, so wie die Bröselmaschine. Sie ist im Textilmuseum in Haslach an der Mühl zu besichtigen, und wurde 50 Jahre vor der Jacquardmaschine in Gebrauch genommen wurde. Die Jacquardmaschine hingegen war ein grosser Erfolg und ihr Gebrauch verbreitete sich sehr rasch. Zusammen mit der ersten Spinnmaschine (spinning jenny), dem Schnellschussmechanismus und dem vollmechanisierten Webstuhl bildet sie die Grundlage der industriellen Revolution im Textilbereich. Die Lehrlinge und ihre Meister, die Färber und die Betreiber der Dampfpressen wurden zu unterbezahlten und ungelernten Hilfskräften in riesigen Fabriken und die einst blühende Textilindustrie in Norwich ging langsam Konkurs und verschwand zuletzt ganz. Handweben überlebte an abgelegen Orten, wo man keine Stoffe kaufen konnte, auf Höfen, wo man sich gekaufte Meterware nicht leisten konnte oder als Teil der Arts and Crafts Bewegung.

 

Hier ist ein Video von Hermann Wendlinger, der auf seinem Jacquardwebstuhl von 1901 webt. Faszinierend, nicht wahr?

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